Dieser Artikel über kulturelle Aneignung in der Mode wird heavy und kontrovers, das mal vorweg. Außerdem muss ich klarstellen, dass ich über keine weitgreifenden Studien verfüge, kein Pro bin auf diesem Gebiet und eher aus meiner persönlichen Perspektive als Frau berichte, die Freunde von überall her hat und die sich als Fashion Addict reichlich inspirieren lässt von zahlreichen Kulturen. Hinzu kommt, dass ich eine aufregende Mischung vieler Kulturen bin, weswegen es vielleicht doch interessant sein könnte, was jemand wie ich zum Thema zu sagen hat. Dreads? Ja, hatte ich schon. Genauso wie ein Sari in meinem Kleiderschrank hängt, den ich gelegentlich trage und mit Bindis und üppigem Goldschmuck ergänze. Ich besitze unzählig viele Cheongsams und Sarongs und obendrein haufenweise Klamotten und Accessoires aus der japanischen und chinesischen Kultur. African Culture, Reggae, Dancehall und Hip Hop sind auch voll meins und gehe ich in ein Geschäft, greife ich in der Regel stets zum weltenbummlerischten Teil, weil ich das schlichtweg mag. Und zugegeben, nicht immer bin ich mir im Klaren darüber, welcher Kultur ein Muster, ein Schnitt oder ein Accessoire schlussendlich entspricht, weil im Modebusiness in der Tat geklaut wird, was geht und alles undurchsichtig ist.
🔷 KULTUR, IDENTITÄT UND ICH
Kulturelle Aneignung in der Mode? Damals ich den 90ern und in den 2000ern war das kein Thema, als ich in die Schule ging. Noch nie habe ich bislang in Österreich davon gehört, zumindest nicht bezogen auf Fashion und niemand hat sich groß gewundert, wenn die Kids im Fasching als Chinese verkleidet waren oder sich einer der Heiligen 3 Könige das Gesicht schwarz gefärbt hat. Mein Vater ist Taiwanese, also chinesisches Erbe. Meine Mutter ist halb französisch, halb tschechisch und mit kräftig Gypsy Roots versehen, weshalb es schon damals als Kind unheimlich schwierig für meinen Bruder und mich war, unsere kulturelle Identität überhaupt zu finden. Für die Weißen war ich asiatisch. Für die Asiaten war ich weiß.
Meine Hautfarbe ist außergewöhnlich und gelb und weiß gleichermaßen. Als Baby hatte ich 3 verschiedene Haarfarben, silber, blond und braun und irgendwann haben sich meine Haare schließlich in einen dunkelbraunen Mix aus Afro und Löwenmähne verwandelt. Vermischen sich die Ethnien, können dabei aufregende und wundersame Dinge geschehen und während ich die verrückten, unbändigen Gypsy-Haare bekam, hatten die glatten, schwarzen Haare meines Bruders seit Anbeginn einen mystischen, blauen Schimmer.
Wer oder was bin ich? Eine Frage, die mich stetig begleitet hat als Kind und als Teenager. Damals waren Kids aus Mischehen noch nicht derartig verbreitet. Was dafür populär war in Österreich, war Rechtsextremismus und meine Schule war voll mit Nazis und solchen, die gerne welche gewesen wären. Bomberjacke war Trend und weiße Haut war in. Glatzen soweit das Auge reicht. Springerstiefel durften ebenso wenig fehlen und als Mischlingskind, das noch dazu androgyn war, ist das nicht immer lustig gewesen und ich war das eine oder andere Mal damit beschäftigt, auszuweichen oder mich zu verstecken. Schwarze Kids wurden ausgelacht aufgrund ihrer Haut und ihrer Haare. Ein sogenannter "Tschutsch" oder "Kanake" war auf Anhieb jeder, der irgendwie aus den Nachbarländern kam und die Bezeichnungen für mich reichten von "Bambusneger" über "Reisfresser" bis hin zur "Thai-Hure". Ja, klingt arg, war auch arg und zum Glück ist das heute selbst in meinem Land nicht mehr so offensiv, obgleich Rassismus etwas ist, das in Österreich tiefe Wurzeln geschlagen hat, und das vermutlich niemals gänzlich überwindet werden kann.
Es schreit dir vielleicht seltener jemand ins Gesicht, dass du dich zurück nach Hause verpissen sollst, jedoch mit vorgehaltener Hand und im stillen Kämmerlein sind die schlimmsten, rassistischen Bezeichnungen bei manchen ÖsterreicherInnen Teil der alltäglichen Sprache. Als nicht-weiße Person spürst du den Rassismus nach wie vor omnispräsent und quasi täglich, solltest du der Sprache mächtig sein, da dieser heute mitunter subtiler vonstatten geht. Hätte ich für jedes "ich mag keine Ausländer, aber du bist okay" einen Euro gekriegt, hätte ich jetzt jedenfalls eine Menge Euro beisammen, und das entspricht in etwa der österreichischen Mentalität und wie sie manche unglücklicherweise haben.
Nie im Leben war ich nur eine Sekunde lang Opfer, wenn es letztendlich darauf ankam, was mir einige Ohrfeigen eingebracht und mich öfter in brenzlige Situationen gebracht hat. Schon als Kind fand ich mich schön, betrachtete ich mich im Spiegel. Warum also sollte ich akzeptieren, dass irgendjemand widersprach, und das noch dazu aufgrund von Oberflächlichkeiten wie Haut oder Haaren? Für mich war das nie ein Thema und mit meiner blühenden Fantasie und meiner Schlagfertigkeit, habe ich jedem Paroli geboten, der mich wegen meiner Ethnie oder meiner Sexualität anzugreifen traute. Klar, dieses Selbstvertrauen hat nicht jeder und vor allem nicht, ist man allein und hat niemanden, der ein ähnliches Schicksal teilt. Ich rate auch niemanden dazu, in jeder Situation dagegen anzukämpfen und manchmal kann es durchaus besser sein, die Klappe zu halten, bevor Schlimmeres passiert. Mir persönlich war das dennoch egal und einmal in die Ecke getrieben, habe ich versucht, so ordentlich auszuteilen wie möglich. Und später als Teenager, als ich mich noch stärker fühlte, begann ich allmählich zu unterstreichen und herauszuarbeiten, dass ich nicht weiß bin und habe mir eine eigene kulturelle Identität zusammen gebastelt, die aus vielen Elementen besteht und auf die ich plötzlich stolz war.
Es war wichtig für mich, multikulturelle Statements zu setzen. Dreads, bunte Haare, weltenbummlerische Mode und Accessoires im Allgemeinen, Piercings und mehr haben unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ich multikulti bin und es liebe. In meiner Teenagerzeit war es ein Statement gegen Rechts und auch falls das Schimpfwortvokabular in der Schule für mich erweitert wurde mit Begriffen wie "Assel" oder "Zecke", was damals beliebt war, um alternative Leute zu beleidigen, habe ich ab einem gewissen Punkt immer noch einen draufgesetzt. Zugegeben, über multikulturelle Aneignung habe ich mir damals keinerlei Gedanken gemacht, weil das, was ich tat, von kultureller Aneignung und dem, was ich darüber wusste, doch recht weit entfernt schien. Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass das garantiert nicht immer in Ordnung ist, denn ich fühlte mich seit jeher beleidigt, wenn man sich zu Fasching als Chinese verkleidete, inklusive "Ching Chang Chong"-Lauten oder ich Blackfacing auf alten Bildern gesehen habe. Irgendwie konnte ich das damals jedoch nicht zusammenbringen und erst später begann ich zu verstehen, dass dies ohnehin nicht selten eine Gratwanderung ist.
🔷 KULTURELLE ANEIGNUNG IM MODEBUSINESS
Der allgemeine Konsens zum Thema in der Mode ist, dass man in manchen Fällen vorsichtig sein muss mit der Anschuldigung der kulturellen Aneignung, und dass es manchmal wiederum eindeutig ist, wobei das speziell für das Business gilt. Die Regel lautet, dass willst du Profit machen und Kapital aus anderen Ethnien und Kulturen schlagen, ohne vorher zu fragen, und das Einverständnis einzuholen, ist es zweifelsfrei kulturelle Aneignung. Insbesondere, stammst du aus einer privilegierten Gesellschaft und die ausgebeutete Kultur begehrt auf und bringt zum Ausdruck, dass dies nicht erwünscht ist. Wir leben in Zeiten, wo du alles blitzschnell nachschlagen und eruieren kannst und bist du frech und benutzt für deine Kollektion beispielsweise diverse Muster, die einer bestimmten Ethnie oder einer Kultur zugeordnet werden können und gibst nicht mal die Quelle an, darfst du gleich einpacken und wirst heutzutage sofort entblößt.
Beispiele gefällig? Isabel Marant und die mexikanischen Muster im Jahr 2020. Louis Vuitton und der palästinensische Keffiyeh im Jahr 2021. Dior mit dem Parfum "Sauvage", das Ureinwohner repräsentieren sollte und dafür Johnny Depp als Testimonial verpflichtet wurde, der durch die Wüste zieht. Marc Jacobs im Jahr 2016 mit seinen weißen Dreadlock-Models und doch ist das alles nicht unbedingt neu, denkst du an den grandiosen Yves Saint Laurent, der sich bereits im Jahr 1977 in Zuge der "Les Chinoises"-Kollektion ausgiebig an der chinesischen Kultur bedient hat. Darüber hinaus gilt es in der Gegenwart als verpönt, sich als Unternehmen rein ästhetischen Aspekten hinzugeben und die jeweiligen Kulturen und Ethnien, die erlaubt oder nicht erlaubt in die eigene Arbeit einfließen, nicht zu hinterfragen, zu kennen und zu ehren. Nimmt eine Isabel Marant demnach die folkloristischen Prints Mexikos her, unerlaubt versteht sich und zeigt sie überdies kein Bewusstsein für diese Kultur, ist das heutzutage doppelt verwerflich.
Der Blick auf multikulturelle Aneignung ist nun geschärft und schlussendlich zurecht. Denn wer hat schon Bock darauf, dass irgendwer daherkommt, dein Erbe kopiert und sich damit bereichert? Multikulturelle Aneignung als solches existiert, seitdem die Menschheit existiert. Im Grunde ist vieles oder so gut wie alles multikulturelle Aneignung, da die Welt sich darüber definiert, dass wir voneinander kopieren, auf dass die gesamte Menschheit weiterkommt. Von anderen zu lernen und sich inspirieren zu lassen bedeutet es schlichtweg, Mensch zu sein. Wer gegenwärtig aber glaubt, reich werden zu können auf dem Rücken von Minderheiten und Bräuche, Sitten und Traditionen in der Mode rücksichtslos ausgenutzt werden dürfen, wird Steine in den Weg gelegt bekommen. Wir leben in einer mehr oder weniger zivilisierten Gesellschaft, wo du nicht einfach hergehen und die Ornamente der Massai in deiner Kollektion verarbeiten kannst, nur weil sie dir gefallen.
Des Weiteren sprechen wir von kultureller Aneignung, wenn es unmissverständlich auf die Kosten von Kulturen, vor allem aber auf die Kosten von Minderheiten geschieht und diese damit gedemütigt oder gar ins Lächerliche gezogen werden. Alles, was dem anderen offensichtlich wehtut, ist mittlerweile ein No-Go, sprich Blackfacing oder dich zu Fasching als Indianer, Chinese, Afrikaner und dergleichen zu verkleiden. Die Ethnie selbst darf dementsprechend nicht mehr nachgeahmt werden. Eine berühmte Person zu mimen ist allerdings okay, und das ist durchaus nachzuvollziehen, solange du halt darauf verzichtest, auf Biegen und Brechen die ethnischen Merkmale zu kopieren. Also gelber Jogginganzug und Nunchucks als Bruce Lee-Imitation ja und gelber Jogginganzug, Nunchucks, und asiatisch geschminkte Hautfarbe nein.
Es gibt viele Wege, die du beschreiten kannst, um ethisch kulturelle Aspekte in dein Schaffen einzuarbeiten, selbst jene von anderen. Wie wäre es mit fragen? Viele Kulturen verleihen überdies Lizenzen oder vertreiben diese sogar. Zu denken, dass du alles einfach gratis nehmen kannst, ist ein Trugschluss und ich finde es befremdlich, dass sich Unternehmen wie Isabel Marant oder Louis Vuitton das als Luxusmarken trauen. Ich meine, wie kommt man als erfolgreiches Unternehmen überhaupt auf diese Idee? Weil es früher so war? Das ist durchaus der Kern allen Übels, da sich viele Menschen offensichtlich überhaupt keine Gedanken darüber machen, was mein und was dein ist. Und wird das auf professionellem Weg ausgenutzt, geht das definitiv weit darüber hinaus, dass eine Privatperson Dreadlocks trägt oder afrikanische Prints auf Kleidung mag. Wie ich finde, muss zwischen kultureller, ausbeuterischer Aneignung und kultureller Wertschätzung eines Individuums ein Unterschied bestehen, den manche jedoch nicht sehen.
Die Wertschätzung ist das, was die Situation so ambivalent und schwierig macht und übermäßige, politische Korrektheit bringt mehr Probleme mit sich. Der neueste Gedanke ist zum Beispiel, dass sogar falls Louis Vuitton die Lizenzen fair einkauft, um palästinensische Elemente in den Kollektionen zu verwenden, du trotzdem ein Rassist und kultureller Aneigner in manchen Augen wärst, solltest du dir den Keffiyeh als weiße Person auf die Rübe setzen. Und um das zu veranschaulichen, muss man lediglich die jüngsten Vorkommnisse in Österreich beobachten.
🔷 DER STREIT UM DIE DREADS
Fridays for Future kann als antikolonialistische und antirassistische Vereinigung nicht erlauben, dass eine weiße Deutsche namens Ronja Maltzahn mit blonden Dreads das Chello auf deren Bühnen erklingen lässt, weshalb das zuvor angesetzte Konzert kurzerhand abgesagt wurde. Mit der Aufforderung an sie, die Dreads einfach abzuschneiden, denn so würde man sie doch noch akzeptieren. Eine Forderung, die in Windeseile wieder von den sozialen Netzwerken verschwunden ist, da der Shitstorm nicht lange auf sich warten ließ.
Es wurde nicht nach ihrer Motivation gefragt. Ist es multikulturelle Wertschätzung oder einfach nur ein Vogelnest, weil sie frisieren unnötig findet? Sofort angeprangert und öffentlich gedemütigt, indem man ihr den Stempel als Aneignerin und Rassistin verpasst und sicher, war ich bestürzt und erinnerte mich an jene Zeit zurück, als ich Dreads hatte. Für mich war es sowohl kulturelle Wertschätzung, weil ich Black Culture immer schon aufregend fand und mich in diesen Kreisen bewegte und ein Statement zugleich, das sich offen gegen Rechts in meinem Umfeld richtete. Also schuldig oder unschuldig? Täter oder Opfer? Was sind Ronja und ich?